Prof. Rüdiger im Interview

Wir treffen Professor Rüdiger in seinem lichtdurchfluteten Büro im rechten Flügel altes Hauptgebäudes der RWTH Aachen. Sein Arbeitszimmer zeugt von der vielen unterschiedlichen Aktivitäten und Fachrichtungen, die an der Hochschule Zuhause sind. Sein E-Bike, mit dem er jeden Tag zum Dienst fährt, steht direkt rechts vor dem Schreibtisch. Ulrich Rüdiger studierte und promovierte an der RWTH im Fach Physik und war vor Beginn seiner jetzigen Tätigkeit Rektor an der Universität Konstanz.

 

Collective Incubator Herr Professor Rüdiger, vielen Dank, dass wir hier sein und mit Ihnen über den Collective Incubator und über die Entwicklungen auf dem Campus der RWTH Aachen sprechen dürfen.

 

Prof. Rüdiger Sehr gerne, ich freue mich auf das Gespräch.

 

Collective Incubator Sie haben Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre selbst an der RWTH Aachen studiert. Wie war das damals, hier zu studieren und sich zu engagieren?

 

Prof. Rüdiger Ich bin in Niedersachsen aufgewachsen und habe damals die RWTH und Aachen als Studienort bewusst gewählt. Ich wollte an der RWTH Physik studieren. Ich war hochgradig daran interessiert, wie man aus dem Grundlagenwissen, das im Physik-Studium vermittelt wird, am Ende ein Produkt entwickeln kann. Wie lässt sich dieses Wissen praktisch nutzen? Ist das von Relevanz? Kann man Wert schaffen? Diese Brücke zwischen Grundlagenwissen und Anwendung schlägt die RWTH. Und dafür kennt man sie heute weltweit. Das war in den 80er- und 90er-Jahren schon genauso.

Das hat mich hierher gelockt. Und ich wurde nicht enttäuscht. Ich habe mich von Anfang an sehr auf das Studium konzentriert, habe relativ schnell und sehr fokussiert studiert. Dass die Hochschule – und ich glaube, so geht es Vielen – noch viel mehr zu bieten hat, das habe ich erst später kennengelernt. Es gibt so viele studentische Initiativen, mit einer großen Bandbreite an Themen, bei denen man sich einbringen kann.

 

Collective Incubator Dürfen wir da mal nachhaken? Sie haben noch Wehrdienst geleistet und sind 13 Jahre zur Schule gegangen. Jetzt kommt man immer jünger an diese Hochschule und es bieten sich sehr viele Möglichkeiten. Wir würden sagen, die meisten Studierenden an der RWTH haben einen unglaublich großen Fokus auf das Studium. Sollte man heute mit einer anderen Perspektive studieren? Sollte man auch nach rechts oder links gucken?

 

Prof. Rüdiger Dazu bedarf es einer differenzierten Antwort. Meiner Meinung nach hängt das stark von der Persönlichkeit des Einzelnen ab. Tatsächlich waren früher die Erstsemester ein bisschen älter. Ich möchte aber nicht sagen, dass sie mit mehr Lebenserfahrung hier ankamen. [lacht] Die Schulzeit ist ein Jahr kürzer, die Wehrpflicht bzw. der Zivildienst für die Herren ist gestrichen. Man kann heute mit 17 das Studium beginnen. Früher war man eher 19, 20 oder gar 21 Jahre alt. Das Ankommen in den 80er- und 90er-Jahren an der RWTH war aber ein Anderes. Man immatrikulierte sich und erhielt eine Matrikelnummer. Diese Nummer war man bei Klausuren und bei offiziellen Anlässen im Studium.

Dass Uni viel mehr ist und es viele studentische Projekte und Initiativen gibt, dass es rechts und links viel zu entdecken gibt, das musste man sich in dieser Zeit viel stärker erarbeiten. Heute wird man stärker herangeführt an das, was sonst noch los ist. Wenn man in das Portfolio der studentischen Initiativen schaut, dann ist für Jede und Jeden etwas zu finden. Es gibt Initiativen, die fokussieren sich auf fachliche Höchstleistungen, Ecurie Aix oder Sonnenwagen zum Beispiel. Es gibt soziale Initiativen, wie Rock Your Life, die Andere unterstützen. Es gibt internationale studentische Initiativen, die vor allem mit Blick auf unsere internationale Studierendenschaft sehr wichtig sind. Und es gibt Initiativen im kulturellen Bereich, die Musik und Theater spielen.

Die RWTH ist ein riesengroßer Setzkasten. Und ich möchte die Studierenden, ob im ersten Semester oder später, einladen und motivieren in diesen Setzkasten hereinzugreifen und sich herauszuziehen, was zu ihnen passt. Dass die Angebote so offen da liegen, macht genau das heute viel, viel einfacher.

 

Collective Incubator Sie sagen zurecht, dass es eine unglaubliche Vielfalt an der RWTH gibt, also Hunderte von Initiativen, Projekten und Start-ups. In der Community des Collective Incubators sind aktuell über einhundert studentische Projekte und Start-ups – von A bis Z ist alles dabei. Welche Rolle spielt es für die Uni selbst, dass es einen solchen Setzkasten gibt, in dem man selbst gestalten kann? Was ist von der Uni daran gewollt?

 

Prof. Rüdiger Ich denke hierbei an das Motto unseres 150. Jubiläums: „Lernen. Forschen. Machen.“. Zunächst eignet man sich Fachwissen an, den Status quo. Dann wird geforscht, weil das Lernen für den Fortschritt allein nicht reicht. Und das Machen, das aus diesem Wissen und aus dieser Neugier entsteht, gehört zu einer modernen Universität – und zur RWTH allemal – dazu. Würde es so etwas wie studentische Initiativen, Hochschulgruppen oder den Collective Incubator nicht geben, würde hier etwas fehlen.

 

Collective Incubator Wie sehen Sie die Entwicklung des Collective Incubators auf dem Jahrhundertcampus?

 

Prof. Rüdiger Schaut man ein Jahrhundert und auf die Aachener Industriekultur mit ihren zahlreichen noch bestehenden Gebäuden wie dem Alten Schlachthof, der Schirmfabrik oder eben der Jahrhunderthalle zurück, dann sieht man eine großartige Entwicklung. Weiter vorne auf der Jülicher Straße steht zum Beispiel eine ehemalige Kirche, die mittlerweile als Digital Hub genutzt wird. Da tut sich etwas und ich bin richtig froh, den Collective Incubator mittendrin zu sehen. Weil damit die ganzen hoch aktuellen Themen, mit denen wir die Zukunft gestalten wollen, vor Ort sind.

Dieses ganze Areal entstand ungefähr zu der Zeit, als auch die RWTH gegründet wurde. Ende des 19. Jahrhunderts boomte das Ruhrgebiet. Und die Aachener Bürgerinnen und Bürger hatten die Sorge, dass ihnen der Schneid abgekauft wird und Fachkräfte abwandern. Sie hatten die Sorge, dass man damit auch Wertschöpfung verliert und an Wohlstand einbüßt. In Anbetracht dieser Situation ließ man sich von etwas leiten, was auch heute noch Gültigkeit besitzt: Sorge für Wissen, sorge für Bildung, bringe die richtigen Leute zusammen und es werden Innovationen und innovative Unternehmen entstehen. Und daran knüpfen Sie als Collective Incubator an und so werden Sie auf einmal Teil dieser Industriegeschichte.

 

Collective Incubator Sie haben jetzt den Bogen über 150 Jahre Industrie- und Wissenschaftsgeschichte geschlagen. Dort den Collective Incubator verortet zu hören, von Ihnen als Rektor der RTWH, freut uns unglaublich. Ich kann nur sagen vielen, vielen Dank, dass wir so eine zentrale Rolle für die RWTH spielen dürfen und dass wir diese Möglichkeit überhaupt bekommen.

 

Prof. Rüdiger Das sollen Sie auch, mit großem Selbstbewusstsein.

 

Collective Incubator Gibt es etwas ganz Persönliches, was sie sich vom Collective Incubator wünschen? Etwas, woran wir arbeiten sollen, was wir für die RWTH, für die Studierendenschaft schaffen sollten?

 

Prof. Rüdiger Mein persönlicher Wunsch ist, dass Sie die Eintrittsschwelle immer so niedrig wie möglich halten. Nach dem Ankommen an der RWTH, nach der Orientierung innerhalb der Hochschule soll man alsbald den Collective Incubator kennenlernen und wissen, dass das ein Ort des Machens ist. Mein Wunsch ist, dass Sie in der Studierendenschaft präsent sind und immer auch Beispiele zeigen, welche vielseitigen Angebote es gibt und wie viele Projekte und Unternehmen im Umfeld der Hochschule gegründet werden. Werben Sie damit und zeigen Sie auch, dass dort auch Schwierigkeiten liegen. Zeigen Sie nicht nur die erfolgreichen Ausgründungen, sondern auch das, was beim Gründen schief gehen kann. Denn auch das ist gar nicht schlimm. Nicht jede Idee wird auf dem Markt ein Renner, nicht jedes Flugzeug hebt ab. Aber dieses sich ausprobieren und testen, ob genau das einem liegt, ist wichtig.

Ich will auch den Macher*innen des Collective Incubators wirklich dankend Respekt aussprechen. Dafür, dass sich bei Ihnen Studierende überlegen können, was sie machen möchten, im Team oder allein. Dafür, dass Studierende, die eine Idee haben sich am Markt ausprobieren können. Sie bieten alles an einem Ort. Ob das Gleichgesinnte sind oder ob es um Fördermöglichkeiten und Coachings geht. Ob es um Werkstätten für ein erstes Prototyping geht. Ein Ort, an dem man das, was man machen möchte, auch schaffen kann. In einem Ambiente, in dem man gerne sein möchte.

 

Collective Incubator Das ist der Punkt, an dem wir unserer Community sagen: Bringt euch ein, engagiert euch, fokussiert euch trotzdem auf das Studium, arbeitet mit am Collective Incubator der an der Jülicher Straße entsteht. Jetzt gibt's die Möglichkeit, bis September dieses Jahres mitzumachen, Ideen einzubringen und zu sagen, was man braucht, um das nächste große Projekt zu starten.

 

Prof. Rüdiger Das sind ja fast die Worte, die ich bei der Erstsemesterbegrüßung wähle. Dort rufe ich den Studierenden zu: Bringt euch ein, gestaltet mit. Die RWTH gehört auch euch und gebt euch niemals mit wenig zufrieden. Das ist mir wichtig. Sich nicht zufriedengeben. Schauen, ob man noch eine Schippe drauflegen kann. Sich messen mit den Anderen, die auch sehr gut sind. Ich denke, das ist ein guter Leitsatz für den Collective Incubator!

 

Collective Incubator Vielen Dank für das Interview.

 

Prof. Rüdiger Sehr gerne, das hat mir Spaß gemacht!